Peru – die Flucht
Peru – die Flucht

Peru – die Flucht

Was für eine Überschrift! Zur Wahl standen diese, oder „Nie wieder Peru“, „Peru – a nightmare“, „Peru extem“ oder „Peru – das wars“, die hatten wir aber schon in Uruguay.

Es geht also um Peru, unser erstes „neues“ Land auf unserer Reise durch Südamerika. Unter Peru haben wir uns ein buntes, lebendiges, an Sehenswürdigkeiten reiches und ein kulturell abwechslungsreiches Land vorgestellt. Das ist es bestimmt auch, zumindest ein bisschen davon haben wir ja auch gesehen: den Titicacasee, den Colca-Canyon, die Nasca-Linen, die Städte Arequipa und Ica.

In Ica durften wir dann ein weiteres kulturelles Highlight kennenlernen: die politische Streit-Kultur des Landes. Nicht, dass uns das als Touristen irgendetwas angeht, wurden wir ungewollt Teil des Geschehens und mussten irgendwie damit klarkommen, wie man hier sehr aktiv seinen Willen kundtut. Anders als wir es kennen, sind sich hier jedoch alle einig: man verlangt nach Neuwahlen – hat also einen Plan. Das ist schon mal besser als wir es von den Freitags-, Montags-, „Querdenker“-, oder Kleber-Demos kennen: es geht nicht um die bevorstehende Apokalypse.

Nachdem klar war, dass es keine Flucht aus Peru über die Hauptrouten für uns geben wird, weil dort mit brennenden Barrikaden sowohl die Städte als auch die Straßen blockiert sind, haben wir erst einmal drei Tage in unserem Camp vor Ica abgewartet bis dort ein Durchkommen möglich war und wir Essen, Sprit und Geld für unseren Trip zurück nach Bolivien bunkern konnten. Alles was wir bekommen konnten hat am Ende nicht gereicht und als das Geld knapper und der Tank leerer wurde, war das in Kombination mit nicht mehr vorhandenen Geldquellen und Tankstellen die nur Bargeld annehmen ein echter Stimmungskiller. Immerhin haben wir die ersten beiden Tage Wege im peruanischen Hochgebirge gefunden, die seit Jahren niemand mehr befahren hat und die mit zunehmender Höhe erst zugewachsen und später weg-erodiert waren. 250 km in zwei Tagen war nicht der Brüller um der Grenze näher zu kommen, aber wir waren weg von dem Chaos das zunehmend auch in Gewalt umschlug. An Tag drei war es dann so weit, wir mussten tanken und damit zurück in die Zivilisation und: in die erste Straßenblockade durch die es kein Durchkommen mehr gab. Die gerade versammelte Dorfgemeinschaft entscheidet zwar, dass wir abends passieren dürften, man informiert uns aber auch, dass 20 km weiter eine Brücke gesperrt wurde, die wir nicht passieren können. Nach einer Room-Tour der Protestanten durch Obelix beschwört man die große Gastfreundschaft der Peruaner im Allgemeinen und verspricht uns, dass wir hier sicher übernachten können. Also: Sackgasse für uns, und die Aussicht morgen alles wieder zurückfahren zu müssen. Unterm Strich dem Ziel nicht näher zu kommen und einsetzender Regen und Sturm in der Nacht lässt uns schlecht schlafen.

Zurückzufahren wo man hergekommen ist, unter Flucht-Gesichtspunkten ungefähr die Höchststrafe. Tag 4 ist auch deshalb unser gemeinsamer Tiefpunkt – wir schlafen noch schlechter!

Tag 5 unter Schlafentzug, täglichen 12 Stunden auf dem Bock und schwindenden Benzin- und Geldvorräten beginnt mit – in Anführungszeichen – „guten“ Nachrichten: das Militär hat in Arequipa die öffentliche Ordnung wieder hergestellt und den Teil der Panamericana geräumt der für uns ein Korridor dorthin sein könnte. Wir rasen los, Dunja bekommt in einer Tienda irgendwo Bargeld und wir sind motiviert von der Idee Simi und Jenny in Arequipa zu treffen, die dort festsitzen. Wir sind ein eingeschworenes Team mit Lockdown-Experience: zusammen mit den beiden saßen wir vor drei Jahren schon einmal in Sucre fest. Vorbei an Militärkolonnen, ausgebrannten Autos, notdürftigen Umfahrungen der von den Demonstranten abgetragenen Hängen oberhalb der Fahrbahn knacken wir alle Rekorde und landen nach 540 km spät abends in Arequipa. In einem wunderschönen Hotel mitten im Zentrum, werden mit Essen und von Freunden empfangen, kurz: wir sindim Paradies. Zwei Tage genießen wir die Restaurants, die Ruhe, die Gesellschaft und die Abwesenheit von schlechten Nachrichten. Gäbe es keine Ausgangssperre um 20 Uhr wäre alles perfekt.

Klar ist aber auch: wir müssen weiter, in drei Tagen ist Weihnachten und das wollen wir nicht wie Maria und Josef verbringen. Simi und Jenny fliegen mit der kleinen Nora nach Cusco und wir sitzen wieder im Auto und starten die letzte Etappe nach Bolivien, es wird die schlimmste. Puno wird komplett belagert, wir umfahren zig Straßensperren, scheitern immer wieder, müssen umkehren, warten, finden neue Umwege, räumen Wacker und Bäume aus dem Weg und verzweifeln zunehmend, da die Frequenz der Sperren auch nach Puno stetig steigt, irgendwann kommen sie im Abstand weniger Kilometer und irgendwann stehen wir nachts an der Sperre an der es einfach keine Umfahrung mehr gibt. 75 km vor der Grenze. Wir warten, man erklärt uns, dass um 23 Uhr die Demo beendet wird, was auch tatsächlich so ist. Die, die demonstrieren ziehen ab und werden durch andere ersetzt, die nur darauf warten die Roadblocks wieder zu schließen und, ausgestattet mit Eisen-Stangen und Knüppeln, uns gegen „freiwillige“ Spenden durch die Blockaden zu lassen. Das Niveau der Diskussionen mit den Beteiligten sinkt an jeder Straßensperre und bei uns die Stimmung – nachts um 1 Uhr stehen wir endlich am geschlossenen Schlagbaum der Grenzstation, sehen im Niemandsland dahinter den nächsten Roadblock und schlafen mit maximal schlechten Vorhersagen wie es morgen wohl weiter geht irgendwie ein.

Morgens sehen wir die ersten Fußgänger die Grenze passieren und erfahren, dass wir auch mit dem Auto durch dürfen – yeah!!! Die letzte Hürde sind die Zollformalitäten für Obelix, die sich deswegen verzögern sollen, weil der diensthabende Beamte gerade frühstückt. Das Helferlein vor dem Zollgebäude wird dann zumindest mein erstes und letztes Opfer der –  sagen wir – „angestauten Anspannung“ der letzten Tage. Nach einem offensichtlich überzeugenden Vortrag in feinstem Hochdeutsch öffnet sich das Schlafgemach des Zollbeamten und in knapp 1 Minute sitzen alle Stempel an der richtigen Stelle, der Schlagbaum öffnet sich und wir sind raus aus Peru – e-n-d-l-i-c-h!

Wir schreiben den 22.12.22 und am frühen Nachmittag erreichen wir Bethlehem – nein: La Paz: Weihnachten kann kommen!

Abschied von Peru: die letzte Blockade im Niemandsland. Begrüßung für die Ankömmlinge, Verabschiedung für uns.

P.S. für die Zahlen-Freaks:

  • Die Flucht dauerte 10 Tage, 14 Min. und 28 Sek.
  • Zurückgelegte Strecke: 2.176 km
  • Durchschittsgeschw.: 9,1 km/h
  • Höchster Punkt: 4.472 m üNN
  • Aufstieg gesamt: 29.999 m
  • Abstieg gesamt: 26.977 m
  • Zusätzliche Stirnfalten: 2
  • Technische Pannen: 3 (abgebrannte Reifen im Bereich von Straßenblockaden hinterlassen final nur noch die darin befindliche Stahlkarkasse, die dann als Stahldraht auf der Fahrbahn nahezu unsichtbar zurückbleibt. 2 x mussten wir um die Bremsen gewickelte Stahldrähte aus der Hinterachse fummeln, 1x hat sich ein Baumstamm beim Überfahren im Fahrwerk der HA verkeilt)
  • Harmoniefaktor im Führerhaus: von 5 von 10 (morgens) auf bis zu 2 von 10 (abends) fallend
  • Peru als Reiseland derzeit 0 Sterne

10 Kommentare

  1. Claudia. u. Detlef

    Hey Ihr Lieben,

    Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie wir uns für Euch freuen, dass Ihr aus Peru raus seid. Eure Stimmungen und Ängste, die Ihr beschreibt, können wohl nicht das ausdrücken, was Ihr tatsächlich in den 10 Tagen durchgemacht habt. Respekt, dass Obelix und Ihr Beide als tolles Team diese Strapazen durchgehalten habt. Nicht auszudenken, Ihr wäret wegen Baumstämmen, Karkassen und gerissenen Hydraulikleitungen irgendwo dauerhaft liegengeblieben. Auch wenn es überall auf der Welt ganz liebe Menschen gibt, die Euch irgendwie geholfen hätten, so denken diese im Moment der Krise ersteinmal nur an sich selbst.

    Wir wünschen Euch frohe Weihnachten in Zweisamkeit und eine weitere erlebnisreiche gute Reise mit minderschweren Eindrücken.

    Ganz liebe Grüße aus dem verregneten Fröndenberg nach Südamerika,

    Claudia u. Detlef

  2. Heide

    Wir sind glücklich, dass Ihr heil aus Peru raus seid. Es war offensichtlich alles noch schlimmer als wir uns das vorgestellt haben. Obelix und Ihr habt Höchstleistungen erbracht. Und das notwendige Quäntchen Glück gehabt. Dazu die Erfahrung, wie man unwillige Mitarbeiter/Demonstrierende zu ungeliebten Aufgaben motiviert.
    Endlich: Weihnachtsfriede. Dabei: grübel, grübel, wie geht es weiter ?
    Mögen Eur Schutzengel weniger Arbeit bekommen und Ihr neue Kraft tanken. Alles Gute für Euch.

  3. …nichts gegen Abenteuer, aber einige sind so unnütz wie ein Kropf. Dennoch gehören auch solche Erfahrungen zu euere Reise. Die Zukunft wird Euch gnädiger stimmen. Nichts desto trotz, sind wir froh darüber, dass es für Euch, wenn auch anstrengend und nervenaufreibend wieder in ruhiger Gegend verschlagen hat und wir wünschen Euch umso mehr eine ruhige Zeit für den Jahreswechsel. Wir denken oft an Euch, fühlt Euch fest geknuddelt. WuM

  4. Oh mein Gott. Was für ein Horror ihr durchmachen musstet. Wir sind so froh, dass ihr diese schrecklichen Tage hinter euch habt und gesund aus Peru rausgekommen seid.
    Wir wünschen euch von Herzen, dass ihr eure Reise sorgenfrei und entspannt weiterführen könnt und sowas nicht mehr wieder vorkommt.
    Drücken euch ganz fest.
    Ganz liebe Grüsse,
    Reni und Marcel

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